Kulturschocke in Kathmandu

Swayambhu

Seit einem Monat befinde ich mich „auf freiem Fuß“ in Kathmandu. Was ich bisher erlebt habe? Einen Kulturschock* nach dem nächsten.

Ich habe mich auf einiges eingestellt. Immerhin ist Nepal eines der ärmsten Länder der Welt und Kathmandu global unter den Top-Städten in Sachen Luftverschmutzung. Aber als ich in meiner neuen, selbst ausgesuchten Realität ankam, traf mich der Kulturschock trotz innerer Vorbereitung mit größter Wucht.

Vor allem, da ich gerade aus meinem wohlig-bequemen Quarantänehotel kam, dessen touristische Lage und Balkon im höchsten Stock eine angenehme Entfernung zum „wahren“ Kathmandu boten. Entsprechend fiel ich tief, als mich das Hoteltaxi nach meiner zehntägigen Komfort-Quarantäne direkt zur Schule brachte, in der ich seitdem wohne und unterrichte.

Inhaltsverzeichnis

Wie ich das Schulprojekt fand

Bereits im Februar hatte ich die „Big Buddha National Academy“ via workaway.info gefunden und angeschrieben.

Anstatt über eine maßlos überteuerte Volunteer-Organisation zu gehen, gelangt man über workaway.info direkt in Kontakt mit den Hilfesuchenden, überwiegend Farmen und Schulen. Der Deal ist in der Regel, als Freiwilliger die eigene Arbeitskraft für Kost und Logis zur Verfügung zu stellen.

So schrieb ich Anfang des Jahres dem Schulleiter Niranjan und wir vereinbarten, dass ich ab August hier wohnen und arbeiten würde. Mit zweieinhalb Monaten Verspätung durch Corona konnte das Abenteuer nun endlich losgehen!

Hans beim Verlassen des Hotels.
Letztes Bild aus dem Hotel. Tschüss Zivilisation!

Kulturschock #1: Meine Unterkunft

Niranjan und sein Sohn Nirman empfingen mich am Eingangstor und geleiteten mich in mein neues Zimmer im Schulgebäude, in dem ich direkt von Niranjans Tante „Pupu“ mit einem hinduistischen Tika auf der Stirn gesegnet wurde. Der Rundgang durch den Rest meines neuen Zuhauses war schnell erledigt, denn im Grunde gibt es nur noch ein „Badezimmer“ mit Toilette (= Loch im Boden) und einem Duschkopf. Ein Waschbecken gibt es draußen am anderen Schulgebäude.

Das war nach der Annehmlichkeit im Hotel der erste kleine Schock, vor allem in Bezug auf die sanitären Gegebenheiten. Mittlerweile habe ich mich natürlich an die Dusche und die asiatische Toilette gewöhnt. Dabei half mir auch eine aus Deutschland mitgebrachte Großpackung Desinfektionstücher inklusive gekauftem Badreiniger und Desinfektionsspray.

Auch in meinem Zimmer fühle ich mich nun ganz wohl. Da mir jeder reinschauen kann, bleiben meine Vorhänge die meiste Zeit geschlossen. Die Fenster sind freilich nicht verdichtet, geschweige denn doppelt verglast, entsprechend hat mich bereits eine Erkältung ausgeknockt. Zudem höre jeden Pieps von draußen, besonders das Bellen und Jaulen der Straßenhunde, den Verkehr und das Radio samt beherztem Trällern der Schulfamilie ab morgens 5 Uhr. Aber ich gehe fortan einfach früh mit Ohrstöpseln ins Bett.

Die private Schule wurde im Jahr 2000 von Niranjans Eltern gegründet; seitdem arbeitet die ganze Familie für dieses Projekt. Das große Erdbeben im Jahr 2015 zerstörte ihr Haus, weshalb die gesamte Schulfamilie im Geschoss über mir wohnt, bis ihr neues Haus fertiggestellt ist.

Kulturschock #2: Verschmutzung und Verkehr

Nachdem ich alles akribisch gesäubert und meine Sachen verstaut hatte, machte ich mich am Nachmittag meines ersten Tages auf, um die Gegend zu erkunden. Und hier folgten die nächsten schockierenden Eindrücke: Müll, Smog, Verkehr, Smog, Verkehr, gehäutete Ziegenköpfe, Hühner eingesperrt in kleinsten Käfigen, keine Fußwege und keine richtigen Straßen, Verkehr, Smog, Müll, völlig schäbige Wellblech-Behausungen, starrende Menschen, Verkehr, Smog, Müll.

Die FFP2-Maske wurde hier auf den Straßen zu meiner besten Freundin, denn ohne sie traue ich mich kaum, zu atmen. Selbst mit Maske schnäuze ich schwarz nach einem Tag in der Innenstadt.

Die Vermüllung ist der Wahnsinn. Müll pflastert hier fast jeder Zentimeter des Bodens – mal in kleiner, mal in großer Ansammlung. Hauptsächlich Plastikmüll, aber auch viel Bauschutt. Mülleimer gibt es hier sehr selten.

Am belastendsten ist jedoch der Verkehr. Die Hauptstädter Nepals fahren überwiegend mit dem Motorrad. Auch in den kleinsten Gassen voller Menschen. Hupend, versteht sich. Und drängelnd. Da es hier auch so gut wie keine Ampeln gibt, ist der Verkehrsteilnehmer Kathmandus das Warten nicht gewöhnt. Entsprechend wird jede noch so kleine Lücke aggressiv ausgenutzt, um irgendwie vorbeizukommen. Bloß nicht anhalten!

Da Verkehrsspuren auf den desaströsen Straßen und Wegen eher Richtwerte sind, versuchen sich hier teilweise drei bis fünf Motorräder (je nach Größe der Straße oder Gasse) gegenseitig zu überholen. Dabei, beim Abbiegen und beim Ausweichen der etlichen riesigen Schlaglöcher kreuzen sie immer wieder den Gegenverkehr.

Zu allem Überfluss gibt es in den seltensten Fällen richtige Fußwege. Die meiste Zeit läuft man also am Straßenrand und muss jederzeit damit rechnen, einem hupenden Motorrad ausweichen zu müssen. An entspanntes Schlendern mit Musik im Ohr ist nicht zu denken. Es ist hektisch, laut, schmutzig und voller Abgase.

Spazierengehen nach der Arbeit ist für mich bis heute nicht drin. Vom Verkehrsstress und einer verdreckten Umgebung abgesehen, habe ich selbst bei Bewegung nicht das Gefühl, meiner Gesundheit durch den Smog wirklich etwas Gutes zu tun.

Dennoch kann ich mich mit dem Verkehr als Fahrradfahrer arrangieren. Ich habe das Familienfahrrad reparieren lassen und darf es im Gegenzug frei benutzen. Die Tricks sind einfach ein stets aufmerksames Auge und ein blindes Vertrauen in die anderen Verkehrsteilnehmer. Irgendwie habe ich bisher trotz längerer Fahrten überlebt. Kathmandu hat seine eigenen Verkehrsregeln, die muss man nur lernen. Und wenn mich jemand fast umfährt, brülle ich ihn auf Deutsch an und sorge so wenigstens für ein wenig Verwirrung als Rache.

Kulturschock #3: Wie der Onkel vom Mars

Gestarre

Zu all dem Stress gesellen sich zwei weitere Punkte, die mich stören: Ich werde pausenlos penetrant beäugt und angequatscht.

Die Leute starren mich fassungslos an, schauen mir hinterher, zeigen auf mich und fahren zum Teil langsamer auf ihren Motorrädern an mir vorbei, um einen langen Blick auf mich zu erhaschen – als hätten sie noch nie einen Weißen gesehen. Damit hätte ich nicht gerechnet, landen in Kathmandu doch eigentlich viele Touristen (auch, wenn ich aktuell einer der einzigen bin).

Ich dachte am ersten Tag, das läge daran, dass ich in einer nicht gerade touristischen Gegend am Stadtrand wohne. Aber das Geglotze trifft mich auch in der Innenstadt und an den Touristenhotspots.

Ein Beispiel: Neulich wollte ich mir in Ruhe einen Tempel anschauen, da fragten mich zwei junge Männer nach einem Selfie mit ihnen (was mir nicht zum ersten Mal passierte). Freundlich (und mit Blick auf meine Wertsachen) kam ich der Bitte nach. Es bildete sich direkt eine kleine Schlange von weiteren Tempelbesuchern, die sich mit mir nacheinander ablichten lassen wollten.

Als ich der gaffenden Menge nach etwa sieben Fotos in eine ruhigere Ecke entfloh, sprach mich ein Sadhu an – ein Heiliger, der sein Leben ganz dem Hinduismus widmet. Normalerweise lassen sie sich mit Touristen für ein kleines Trinkgeld knipsen, was ich aber nicht erfragte. Wir kamen ins Gespräch und als der Sadhu von meiner Herkunft erfuhr, zückte er stolz einen deutschsprachigen Bilderband aus seinem Jutebeutel, den ich mir anschauen sollte. Tatsächlich führte er Ende der 90er eine Gruppe von Deutschen durch Nepal, die daraufhin einen Bilderband über ihn und das Land veröffentlichten.

So saß ich also neben dem bemalten Mann mit Turban und blätterte höflicherweise durch sein Buch, während ich merkte, dass sich allmählich eine Gruppe von etwa 15 Menschen – jung und alt – um uns herum bildete. Ich fragte den Sadhu, ob sie seinetwegen hier seien, immerhin sei er ein Heiliger. Oder vielleicht wegen des Bilderbuches, das ich der Menge dann auch zum Anschauen hinhielt? Nein: Die Traube hatte sich meinetwegen gebildet, sie wollten mir einfach nur zuschauen.

Selbst auf dem Klo werde ich beobachtet!

Gequatsche

An das penetrante Gestarre kann ich mich zwar noch gewöhnen, oft kommt aber ein Spruch hinzu: „Hey man“, „Hi bro“, „What’s up dude“, „Hello, how are you?“ nerven ungemein, wenn man einfach nur seiner Wege gehen möchte und jede Minute auf solches Anquatschen reagieren muss. Am Anfang habe ich mich noch auf fast alle Ansprachen eingelassen und versucht, ein Gespräch zu führen. Doch in der Regel führt das zu einem von zwei Ausgängen:

Entweder kommt gar kein Gespräch zustande, weil die Ansprechenden kein Englisch können oder sich nur kichernd einen Spaß erlauben. Oder es handelt sich um jemanden, der mir irgendetwas andrehen möchte: eine Führung durch die Stadt oder irgendein Touristen-Mitbringsel. Und nach mehrfachem „Nein“ kommt das Betteln. Nicht die Bettler sind diejenigen, die mich hier am meisten nach Geld anflehen, sondern die Händler.

Seit anderthalb Jahren liegt der Tourismus brach, auf den viele finanziell angewiesen sind. Die Leute sind verzweifelt, und das tut mir sehr leid. Ich lasse mich auf vieles ein, schaue mir die Waren an, führe Gespräche, bin freundlich und interessiert, gebe viel Trinkgeld, aber ich kann nicht jeden Schnulli kaufen und muss auch stark auf mein Budget achten. Das verstehen viele nicht, und nach erfolglosem Bitten wandelt sich die übertriebene Freundlichkeit dann oft in ein von Abneigung gezeichnetes Gesicht. Von buddhistischen Verkäufern wurde mir sogar schon schlechtes Karma beschworen, weil ich freundlich ablehnte, eine Klangschale oder ein für mich furchtbar hässliches Armband aus Aluminium zu kaufen.

Das durchschnittliche Monatsgehalt eines Nepalesen liegt bei umgerechnet 80 Euro. Entsprechend gelten westliche Touristen als unendlich reich und als lukrative Einnahmequelle. Da ich anfangs einer der einzigen Touristen war – unter den tausenden Menschen hier sah ich in drei Wochen gerade mal eine Handvoll Weißer – stürzten sich die verzweifelten Händler an den Hotspots entsprechend auf mich, teilweise drei bis vier gleichzeitig, die mir hinterherrannten.

Natürlich habe ich Verständnis dafür, und niemand meint das Starren oder Ansprechen böse; dennoch ist es auf Dauer schlicht unangenehm und anstrengend. Insofern entgegne ich dem Angequatsche von Passanten nun lediglich mit einem Lächeln sowie einem „Namasté“ und dem Betteln von Händlern mit einem höflichen „Pardeina“, was so viel wie „Nein danke“ bedeutet.

Seit gut einer Woche erblicke ich glücklicherweise mehr und mehr westliche Touristen, was auch daran liegt, dass die Quarantänepflicht aufgehoben wurde. Ich hoffe, künftig nicht mehr der alleinige Fokus jeder Menschenmenge zu sein.

Religion und Gastfreundlichkeit

Ich erreichte die Schule direkt während des Dashain-Festivals, dem wichtigsten hinduistischen Volksfest des Jahres. Man kann es mit unserem Weihnachten vergleichen. Entsprechend wurde ich in meiner ersten Woche (es waren Ferien) direkt in die Bräuche der Familie eingebunden. Bei Festivitäten ist das Tika wichtig, ein hinduistisches Segnungssymbol auf der Stirn, das meist aus Reis und einem Gemisch aus rotem Sandelholzpulver und Senf-Öl besteht. Zusätzlich werden Blüten auf die Köpfe der Gesegneten gesprenkelt.

Während des Dashin-Festivals sitzt die Familie zusammen, musiziert, spielt Karten um kleine Geldbeträge, isst und segnet sich gegenseitig. Etwa anderthalb Wochen später folgte das Tihar-Festival, auch Lichterfestival genannt. Für die Kaste der Newari, der Ureinwohner Kathmandus, stellt Tihar außerdem Silvester dar – sie feierten den Eintritt ins Jahr 1142. Die Häuser werden mit Lichterketten geschmückt, vor jeden Hauseingang wird ein buntes Mandala gemalt und am wichtigsten Tag des Fests werden Brüder und Schwestern geehrt.

Tihar wurde von den Schülern durch selbstgemachte Dekoration, Mandalas und ein ausgiebiges Schulprogramm mit Tanz und Gesang eingestimmt, dem ich als Ehrengast beiwohnen durfte.

Generell gelten Gäste als ein Segen Gottes, entsprechend werde ich hier von der Familie beinahe wie ein Heiliger behandelt und sehr umsorgt. Die älteren Familienmitglieder sprechen kein Englisch, weshalb ich versuche, mich auf Nepalesisch mit ihnen zu verständigen. Bisher beschränkt sich mein Vokabular noch auf Essenswörter („Mito chha.“ = „Es ist lecker.“), aber ich gebe mir Mühe. Auch meine Familie gehört den Newari an, also den Ureinwohnern Nepals, die besonderen Wert auf Tradition legen.

Etwa 80% der Nepalesen folgen dem hinduistischen Glauben. Rund 15% sind Buddhisten, nur fünf Prozent ein Gemisch daus Muslimen und Christen. Aber der Hinduismus und Buddhismus gehen hier Hand in Hand: Oft stehen Tempel beider Religionen direkt nebeneinander, Feste werden häufig gemeinsam gefeiert und Buddha wird auch im Hinduismus verehrt, was für ein sehr harmonisches Miteinander sorgt.

Kulturschock #4: Unterricht

Unterrichtsinhalte

Jeden Tag habe ich vier Unterrichtsstunden von jeweils 40 Minuten. Täglich zur selben Uhrzeit unterrichte ich die Klassen 5 bis 8; es gibt jeweils eine Klasse pro Stufe. Die Klassen 6 und 7 unterrichte ich nach einem Schulbuch zum Thema Literatur. Vor allem Gedichtinterpretationen finde ich selbst kein besonders spannendes Thema, aber ich versuche, den Stoff so interessant und abwechslungsreich wie möglich rüberzubringen und mich auf das Nützliche zu fokussieren.

Die Stufen 5 und 8 unterrichte ich hingegen freier. Zuerst brachte ich ihnen europäische Kulturen näher und lehrte sie ein paar Brocken Deutsch. Aktuell gebe ich Rhetorik- und Artikulationstraining, verbunden mit dem Thema „Jobs and Future“.

In Kathmandu und Nepal gibt es so viel zu verbessern und ich möchte den Schülern aufzeigen, wie sie selbst aktiv werden könnten, um beispielsweise der Vermüllung und dem Smog entgegenzuwirken. Aber es ist schwer, denn Punkte wie Müllabfuhr, Straßenbau, Verkehrsregelung, Vorgaben bei Abgasfiltern etc. müssen von der Regierung gesteuert werden. Und die ist hochgradig korrupt, hat in den letzten Jahren sämtliche eigenen Industrien in Nepal zerstört, teilweise gar verboten, und bezieht große Bezüge dafür, dass sie alles aus Indien importiert.

So wurde es mir erzählt. Die Nepalesen fühlen sich in Anbetracht ihrer Situation hilflos, und auch ich spürte diese Ohnmacht, als ich angestrengt darüber nachdachte, wie man der Korruption Herr werden könnte. Die Schüler interessieren sich aktuell natürlich wenig dafür, Politiker zu werden und in die Opposition zu treten.

Entsprechend bleibt mir nur, ihre Englischkenntnisse zu verbessern und sie mit neuem Input zum Lernen anzuspornen, damit sie sich mit ihrem ärmlichen Status Quo nicht zufriedengeben und nach etwas Höherem streben.

Ab nächster Woche gebe ich Schauspielunterricht und werde mit ihnen eigene Theaterstücke schreiben und inszenieren. Das macht nicht nur Spaß, sondern wird vor allem ihre Artikulation verbessern, so meine Hoffnung.

Fehlende Disziplin

Mangelhaft ist die Disziplin der Schüler. Ich habe den Eindruck, sie sind es nicht gewohnt, still sitzen zu bleiben und sich zu melden, wenn sie etwas sagen möchten. Die ganze Stunde über laufen sie wild umher, schlagen sich gegenseitig, reden die ganze Zeit oder brüllen wild los, wenn sie eine Antwort wissen. Zudem schreiben sie nicht mit (so etwas wie Hefter haben sie nicht) und ihre Schulbücher haben sie auch nicht immer dabei – und sie sind noch seltener Willens, dieses aufzuschlagen.

Besonders die Klasse 6 bringt mich an meine Grenzen, da ich Schwierigkeiten habe, die zugegeben langweiligen Gedichte rüberzubringen, da die Hälfte der Klasse trotz Ermahnung, Bitten und Belohnungen durch Süßigkeiten einfach nicht ruhig oder gar sitzen bleibt, oder schlicht die Bücher nicht aufschlägt.

Natürlich ist mir klar, dass die Kinder es nicht böse meinen, sie in der Pubertät sind und dass es auch in Deutschland die üblichen Störenfriede in jeder Klasse gibt. Die meisten sind neugierung und wirklich putzig. Außerdem bin ich hier eine kleine Attraktion und genieße noch nicht das vertraute Miteinander zwischen Schülern und den „richtigen“ Lehrern. Die Schüler sind hier teilweise seit ihrer Kindergartenzeit, entsprechend hat sich ein starkes Vertrauensband zwischen allen gebildet, in das ich als Fremder erst einmal hereinwachsen muss.

Ich arbeite daher viel mit Spielen und aktiveren Wegen, um die Klassen wieder zur Ruhe zu bringen. Bis auf in Klasse 6 klappt das eigentlich ganz gut, vor allem die Klassen 5 und 7 kann ich gut motivieren. Aber ich merke, ich habe pädagogisch noch eine Menge zu lernen, dafür bin ich ja auch hier. Daher brauche ich recht viel Zeit für die tägliche Unterrichtsvorbereitung, wobei ich einiges von meiner Arbeit in der maltesischen Sprachschule wiederverwerten kann.

Treffen mit anderen Westlern

Trotz meiner Integration in die Familie und Schule habe ich mich zwischenzeitlich stark in mein Zimmer zurückgezogen; mir wurde alles ein bisschen zu viel. Auch wenn ich hier Herzlichkeit erfahre und vor allem mit den älteren Schülern ulken kann, sehnte ich mich nach Kontakten mit Westlern, deren Kultur und Temperament mir ähnlicher sind und mit denen ich über all die Eindrücke sprechen kann.

Also organisierte ich über Facebook ein erstes Expat-Meetup, also ein Treffen für alle Ausländer, die sich für längere Zeit in Kathmandu aufhalten. Und es war eine wahre Wohltat für die Seele, mich mit den anderen elf Teilnehmern des Events austauschen zu können! Unter ihnen waren wahre Globetrotter – viele von ihnen lebten bereits in den verschiedensten Ländern überall auf der Welt und befinden sich nun seit einiger Zeit aus beruflichen Gründen in Nepal.

Darunter waren zwei Brasilianer, eine Thüringerin, die seit einigen Jahren in Dresden wohnt (die Welt ist klein!), ein französisches Pärchen, eine amerikanisch-turkmenische Familie, eine Marokkanerin und ein Nepalese, der als digitaler Nomade die Welt bereist. Das war ein sehr inspirierender und heiterer Austausch, und ich hoffe, nun einige Reisepartner gefunden zu haben.

Auf jeden Fall erhielt ich viel Input und mich packte nach meiner temporären Rückzugsphase erneut die Reiselust, die ich nach meiner Zeit in der Schule ab Januar ausleben werde! Um mir das leisten zu können, arbeite ich derzeit nebenher viel als Freelancer – was aktuell sehr gut läuft.

Bis dahin habe ich vor, weiterhin das Kathmandu-Tal und alle umliegenden Attraktionen ausführlich zu besichtigen. Nach meinem anfänglichen Gemecker über all den Schmutz möchte ich nun auch einige schöne Impressionen aus Kathmandu teilen:

Abschied von meiner Großmutter

An dieser Stelle gehe ich kurz auf meine Großmutter ein, die in den vergangenen Tagen verstarb. Ihr Tod war abzusehen: Sie wollte seit geraumer Zeit nicht mehr leben und fürchtete sich vor ihrer zunehmenden Demenz und vor einem Altenheim. Beides blieb ihr glücklicherweise erspart.

Kurz vor meiner Reise nach Nepal verabschiedeten wir uns tränenreich voneinander, denn wir wussten beide, dass wir uns nicht mehr wiedersehen würden. In den letzten Tagen stürzte sie in ihrer Wohnung und kam anschließend ins Krankenhaus, wo sie innerhalb von drei Tagen an Altersschwäche verstarb. Ihr Herz wollte nicht mehr, und so schlief sie friedlich ein.

Es tut natürlich weh, einen geliebten Menschen zu verlieren. Da ich keine Geschwister und nur wenig Kontakt zu meinen anderen Verwandten habe, gehörte sie für mich mit meinen Eltern zum engsten Familienkreis und prägte meine Kindheit. Aber in gewisser Weise freue ich mich für sie, es geschafft zu haben und nun an einem besseren Ort zu sein. Trotz all der Trauer ist es auch eine Entlastung für meine Eltern, die sie in den letzten Jahren fast täglich gepflegt hatten.

Ihre Asche wird in ihrer alten Heimat bei Stralsund in der Ostsee verstreut. Hab vielen Dank für deine bedingungslose Liebe, liebe Oma. Ich werde dich nie vergessen.

Bonus: Veröffentlichte Artikel

Nach etwas persönlicher Rührseligkeit noch ein kleiner Bonus. Nachfolgend liste ich all meine Artikel, die in der Zwischenzeit von anderen Redaktionen veröffentlicht wurden:

Die historischen Inspirationen von Call of Duty: Vanguard (PlayStation-Blog):

Zudem war ich im Oktober Teil der Bordzeitschrift von Wizz Air, einer ungarischen Fluglinie. Das etwa 45-minütige Interview zum Artikel wurde bereits im Juli mit mir geführt, in die Wege geleitet von meinem Freund Daniel. Ich bin etwas unglücklich über die „Ich“-Formulierung, da der Artikel suggeriert, ich hätte ihn in diesem sehr simplen Englisch geschrieben. Aber was soll’s, Malta und das digitale Nomadentum erhalten etwas Aufmerksamkeit, dafür gebe ich mich gerne her.

Hans als digitaler Nomade im Wizz Air-Bordmagazin

*Anmerkung zum Wort „Kulturschock“

Ich bin mir bewusst, dass ich den Begriff „Kulturschock“ in diesem Artikel genau genommen falsch verwende. Ein Kulturschock ist ein schleichender Prozess für Menschen, die sich längere Zeit in einer anderen Kultur aufhalten. Nach einer ersten „Honeymoon“-Phase, in der alles aufregend ist, kann die Stimmung nach einer gewissen Zeit ins Gegenteil kippen. Alles erscheint schwer, Missverständnisse häufen sich, man fühlt sich als Außenseiter. Diese Tiefphase kann depressive bis hasserfüllte Züge annehmen. Aber das Gehirn braucht sie, denn nur durch diesen tiefsitzenden „Schock“ werden die gewohnten Strukturen und Verhaltensmuster aufgebrochen. Erst dann geht es stimmungstechnisch wieder bergauf und der Fremde beginnt mit der wahren Assimilation, bis er sich der neuen Kultur annimmt und Teil von ihr wird.

Diesen Prozess erlebe ich ebenfalls und bin mittendrin. Was ich in diesem Artikel allerdings als nummerierte „Kulturschocke“ bezeichne, sind eigentlich „Zivilisationsschocks“. Da ich mit dieser Definition aber nicht einsteigen wollte, habe ich mir erlaubt, den Begriff der Einfachheit und Unterhaltung halber bewusst falsch und plakativ zu verwenden.